Frankreich 1871 I : „Ein grauer Don Juan“

In seinem Song „Ein ehrenwertes Haus“ thematisiert Udo Jürgens die Figur des Voyeurs mit den Worten: „Der graue Don Juan, der starrt Dich jedesmal im Aufzug schamlos an“. Ein Don Juan bzw. Don Giovanni gilt gemeinhin als klassischer Frauenheld. Auch Prinz Louis-Napoléon Bonaparte (20.4.1808-9.1.1873), der von 1852 bis 1870 als Napoleon III. französischer Kaiser war, erlag oft gewissen Versuchungen und war schon als Prinz im Exil auf Schloss Arenenberg am Bodensee und in Konstanz auch wegen seiner Amouren Gesprächsthema. Im anschließenden Londoner Exil fand er mit Eleonore Gordon und Harriet Howard („Miss Howard“) Mätressen. Sogar während der Festungshaft in Ham (1840-1846) gebar ihm Eléonore Vergeot 2 Söhne. Auch nach der Heirat mit Kaiserin Eugénie setzte Napoleon III. seine außerehelichen Liebschaften trotz heftiger Szenen seiner Ehefrau fort und suchte, wie er zu sagen pflegte, „distractions“, bis ihm sein Blasensteinleiden und ständige Schmerzen ab Mitte der 1860er Jahre diese nicht mehr gestatteten. Zu dieser Zeit, genauer gesagt 1863, war die erste graufarbene Briefmarke Frankreichs verausgabt worden, die 4 Centimes grau mit dem lorbeerbekränzten Portraitkopf des Kaisers (sog. „Tête laurée-Ausgabe“), die wir hier als Sechserblock auf einem Faltbrief aus dem Jahre 1871 präsentieren:

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Die 4 C-Marke war eigentlich für das ermäßigte Porto für Drucksachen eingeführt worden, doch wurden auch noch nach Ausrufung der Republik (4.9.1870) die restlichen Markenbestände des Empires und damit die kaiserlichen Portraitmarken aufgebraucht. Um eine solche Aufbrauchfrankatur handelt es sich bei obigem Beleg. Das Briefporto zu 25 C wird aus einem vertikalen Sechserblock der grauen 4 C-Marke und einem Exemplar der 1 C grünlichbronze gebildet, eine ebenso seltene wie ungewöhnliche Kombination. Bis auf eine kleinere Reparatur der oberen linken Blockecke sind die Marken fehlerfrei erhalten und einzeln sauber mit dem Punktrhombenstempel der Gros Chiffres „842“ entwertet, der für Chalon-sur-Saône steht, wie der rechts zusätzlich abgeschlagene Ortsstempel vom 9.9.1871 belegt. Empfänger war ein Monsieur Courtois (= „Herr Höflich“), ein in Caix en Santerre (ca. 30 km östlich von Amiens gelegen) ansässiger Geschäftsmann, an den der Kurzwarenhändler und Schuhgrossist Emile Foret diesen Brief mit seiner Prachtfrankatur sandte, der am 11.9.1871 seine Destination erreichte.- Zu diesem Zeitpunkt lebte Napoleon III. mit seiner Frau und seinem Sohn, dem Prince Impérial,im britischen Exil, war zwar ergraut, aber längst kein „Don Juan“ mehr.

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