Durch den Belagerungsring der preußischen Truppen im Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 war Paris seit dem 20.9.1870 vom Postverkehr abgeschnitten. Über eine Methode, Post nach Paris gelangen zu lassen, nämlich mittels in der Seine schwimmender Zinkkugeln mit einem Fassungsvermögen von rund 600 Briefen, hatten wir in einem gesonderten Artikel schon ausführlich berichtet, auch über das praktische Scheitern dieser Erfindung, denn keine Zinkkugel konnte seinerzeit nach dem Zuwasserlassen in Paris geborgen werden. Die Idee hatte sich aber sogar im Ausland herumgesprochen, wie der folgende Brief aus einer Jahrzehnte später aufgefundenen Zinkkugel zeigt:
Es handelt sich um einen hervorragend erhaltenen Zinkkugelpostbrief, ordnungsgemäß mit dem dafür erhöhten Porto zu 1 Franc freigemacht, bestehend aus einer Marke zu 80 Centimes rosa der kaiserlichen Ausgabe „Napoléon III. mit Lorbeerkranz“ und einer blauen Marke zu 20 Centimes der republikanischen Ceres- Ausgabe. Beide Marken, die farbfrisch und fehlerfrei erhalten sind, sind mit dem Punktrhombenstempel von Bordeaux „532“ entwertet. Daneben ist ein entsprechender Datumsstempel vom 5.1.1871 abgeschlagen; naturgemäß fehlt ein rückseitiger Ankunftsstempel. Und dennoch wurde der Brief nicht in Bordeaux, sondern im belgischen Brüssel geschrieben, wie sein Inhalt beweist. Der Briefinhalt ist nämlich noch gut zu lesen. Eine Tochter namens Berthe schreibt aus Brüssel am 1.1.1871 ihrem Vater, einem französischen Colonel in der Krankenabteilung des Hôtel des Invalides : „Ich habe in der Zeitung ´L´Independance Belge´ gelesen, dass es ein Mittel gibt, Briefe nach Paris gelangen zu lassen, indem man sie über Moulins versendet.“ Sie mache nun eiligst davon Gebrauch und hoffe, dass der Brief „mein gutes und liebes Väterchen“ (mon bon et cher petit père) erreiche, denn sie sei in großer Sorge, schon so lange nichts von ihm gehört zu haben. Weiter heißt es: „Ich bin seit einem Monat in Brüssel. Ich werde dort vielleicht eine oder zwei Opern singen. Ich hatte eine 20- tägige Konzerttournée in Holland und hatte großen Erfolg.“ Im November sei sie noch in London gewesen. Ihr und ihrer Schwester Louisette gehe es gut, „denn es mangelt uns an nichts, während Du sehr an der schlechten Nahrungsversorgung leiden musst.“ Immerhin übermittelte unsere gut versorgte Opernsängerin ihrem „Väterchen“ am Ende des Briefs noch „1000 gute Wünsche für das Neue Jahr, von dem ich hoffe, dass es besser als 70 (= 1870) werde“ (alle Briefpassagen aus dem Französischen übersetzt). Den unfrankierten Brief dürfte Opernsängerin Berthe in einen Begleitbrief an eine Mittelsperson in Bordeaux gelegt haben, wo er dann frankiert und zur Weiterbeförderung abgestempelt wurde, aber den kranken Vater nie erreichte.