Der deutschen Außenpolitik war es um 1905 ein Dorn im Auge, beobachten zu müssen, dass das im Krieg von 1870/71 besiegte Frankreich zunehmend wiedererstarkte und durch sein Bündnis mit Russland 1894 und die Entente Cordiale mit England 1904 Deutschland in die ernsthafte Gefahr eines Zweifrontenkrieges brachte, der dann 1914 bekanntlich Realität werden sollte. Deshalb ließ man von deutscher Seite nichts unversucht, Frankreich auf diplomatischem Parkett in seine Schranken zu weisen. Dieses suchte seine Stellung in Marokko wirtschaftlich und politisch zu festigen, doch wollte das Deutsche Reich eine dortige Dominanz Frankreichs verhindern. Ein inszenierter Besuch Kaiser Wilhelms II. in Tanger am 31.03.1905 und die auf deutschen Druck einberufene internationale Konferenz von Algeciras 1906 änderten am Einfluss Frankreichs letztlich nichts. - In diese Zeit nach der 1. Marokkokrise fällt der nachstehende Brief von Tanger nach England aus dem Jahre 1907:
Die Reichspost unterhielt zahlreiche Postanstalten in Marokko, so z.B. in Tanger, Casablanca, Fez und Marrakesch. Die erste deutsche Postanstalt, die bereits am 20.12.1899 errichtet wurde, war diejenige in Tanger. Ähnlich wie bei der Deutschen Auslandspost in China und in der Türkei wurden auch für die „Deutsche Post in Marokko“ die im Deutschen Reich verwendeten Dauermarken mit einem Aufdruck versehen, der sich bei den verschiedenen Auflagen leicht unterschied, bei den Marken unseres Briefs aber auf „Marocco“ und der von Spanien übernommenen in Marokko geltenden Peseta- Währung lautet. Hier fanden aber nicht alle 13 Werte des ganzen am 1.10.1905 verausgabten Satzes Verwendung, sondern „nur“ 10 Werte; es fehlen lediglich 3 der 4 niedrigsten Wertstufen. Besonders hervorzuheben sind die 4 querformatigen Markwerte, also die 1 Peseta 25 Centavos auf 1 Mark karminrot, die 2 P 50 C auf 2 M stahlblau, die 3 P 75 C auf 3 M violettschwarz und die 6 P 25 C auf 5 M grünschwarz- rot. Die Marken sind etwas flüchtig, aber mit noch gut lesbarem Stempel von „Tanger, Marocco, Deutsche Post“ vom 21.1.1907 entwertet. Das Einschreiben ist an Ludwig Zissler in Londons Charing Cross Road gerichtet, dessen Firmenname mit den bildlichen Darstellungen eines Arabers und eines Indianers (was für eine „Kombination“, und sie stammt nicht von Karl May!) oben links gut erkennbar ist. Zissler war übrigens ein seinerzeit bekannter Briefmarkenhändler in London, der sich hier ersichtlich diesen Beleg zu kommerziellen Zwecken schicken ließ, der am 28.1.1907 in London eintraf. -Frankreichs Dominanz in Marokko ließ sich auch nicht durch die sog. 2. Marokkokrise von 1911 aufhalten, als Deutschland sogar das Kanonenboot „Panther“ entsandte („Panthersprung nach Agadir“).