Frankreich 1870: „Farbenspiel kurz vor Kriegsausbruch“

Am 19.7.1870 erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Als Grund hierfür wurde die Kandidatur eines Hohenzollernprinzen für den vakanten spanischen Königsthron genannt, weshalb Frankreich um seine territoriale Sicherheit fürchtete. Dabei schien die gefährliche Krise bereits überstanden, denn nach massivem Druck veranlasste der preußische König Wilhelm I. seine Sigmaringer Verwandten, auf die spanische Kandidatur zu verzichten, was dann auch am 12.7.1870 offiziell geschah. Mit diesem diplomatischen Erfolg, den Bismarck als Niederlage empfand, hätte sich Frankreich getreu dem Grundsatz „μηδέν άγαν“ (= nichts zu sehr) klugerweise zufrieden geben sollen, doch wies Außenminister Gramont den französischen Botschafter Benedetti an, von dem gerade in Bad Ems zur Kur weilenden preußischen König einen Verzicht für alle Zukunft zu fordern. Dieses Ansinnen wies Wilhelm I. bei der Begegnung am 13.7.1870 höflich, aber bestimmt zurück, da er die Frage der Kandidatur als erledigt erachtete, und berichtete hiervon Bismarck per Depesche („Emser Depesche“) nach Berlin. Dieser verschärfte den Text insbesondere durch einige Kürzungen und gab ihn an die Presse. Wie von ihm erwartet war die Empörung in Frankreich so groß, dass sich Kaiser Napoleon III., der bis zuletzt eine Verständigung durch einen Kongress suchte, gezwungen sah, am 19.7.1870 Preußen den Krieg zu erklären.- In den Tagen dieser „Julikrise“ kurz vor Kriegsausbruch wurde das hier abgebildete Poststück nach Wien versandt:     
28 1870 Frankreich
Das alterungsbedingt leicht gebräunte Couvert (der einst eingelegte Brief ist nicht mehr vorhanden) ist mit 5 Briefmarken des französischen Kaiserreichs in 3 verschiedenen Farben frankiert. Die Anordnung der Marken dieser ungewöhnlichen und damit seltenen Frankatur erfolgte als achsensymmetrisches „Farbenspiel“ und damit ersichtlich in der Absicht, der Empfängerin in Wien eine philatelistische Freude zu bereiten. Das erforderliche Porto von 60 Centimes hätte nämlich auch mit lediglich 2 Briefmarken entrichtet werden können, so z.B. durch 2 Marken zu 30 C oder durch die Kombination je einer Marke zu 40 C und 20 C. Statt dessen wählte der Absender die 10 C gelbbraun als Mittelachse, unmittelbar rechts und links flankiert von 2 Marken der 5 C grün und jeweils in den Außenpositionen von 2 Marken der 20 C blau, was zusammen 60 C ergibt. Die Werte zu 10 und 20 C entstammen der sog. Lorbeerkranzausgabe („Tête laurée“), denn sie zeigen Napoleon III. mit Lorbeerkranz. Diese Freimarkenserie umfasste aber keine Marken zu 5 C, so dass hierfür auf die Vorgänger-Ausgabe der „Tête nue“, also auf die Portraitmarken ohne Lorbeerkranz zurückgegriffen werden musste. Die kurios angeordneten Marken sind jeweils mit dem „stummen“ Sternenpunktstempel („Étoile muette“) von Paris entwertet. Daneben ist der Pariser Ortsdoppelkreisstempel des Postamts in der Rue St. Lazare vom 11.7.1870 sauber abgeschlagen, also nur 2 Tage vor der „Emser Depesche“ vom 13.7.1870, und genau an diesem Tag kam der Brief gemäß rückseitigem Ankunftsstempel bei seiner Empfängerin in Wiens Neustiftgasse an, damit kurz vor Kriegsausbruch.

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